Gedanken zu Kislau
Wie einer Stätte des Unrechts, der Folter, des Grauens baulich Gestalt geben? Der Neubau koppelt sich ab von den geschichtlichen Fragen an den Ort und thematisiert die besondere Lage und die Bezüge zur Umgebung. Das eigentliche Volumen verschwindet weitgehend unter die Erde (und lässt dadurch die vorhandenen Sichtbezüge bestehen), als „Landmark" bleibt lediglich ein würfelförmiger, erratischer Baukörper sichtbar, der den Eingang und die Erschließung der Gedenkstätte aufnimmt. Damit nimmt sich der Neubau vor den landschaftlichen, wie baulichen Qualitäten der Umgebung zurück. Der Baukörper besteht aus einem sich in die Feuchtwiesen stemmenden, begehbaren Plateau, das von einer Stampfbetonmauer begrenzt wird und unter dessen landschaftlich gestalteter Oberfläche sich die Ausstellungsräume sowie die Bereiche der Veranstaltung und Verwaltung befinden.
Städtebau
Über den Kislauer Weg kommend, der als Sichtachse auf das Schloss Kislau führt, nähern sich die Besucher dem Neubau von Norden. In seiner Formensprache und Analogie zur Festungsarchitektur begreift sich der Neubau hier gleichzeitig als selbstverständlicher baulicher Abschluss und Auftakt der Schlossanlage Kislau. Erst in der Annäherung öffnet sich die bauliche Anlage über eine großzügige Freitreppe, die den Besucher zunächst am Kislauer Weg abholt um sie dann auf das Plateau zu führen. Hier bieten sich von erhabener Position verschiedene Blicke in die Landschaft und auf das Schlossensemble. Dabei bildet der auf dem Plateau stehende Eingangsbau ein Gegenüber zu dem markanten historischen Wirtschaftsgebäude, welches bisher den Beginn der Schlossanlage markierte. Der zwischen beiden Baukörpern aufgespannte Raum erstreckt sich über eine Weideflächen hinweg, wodurch der Neubau, trotz der Entfernung und seiner geringen Größe in eine enge räumliche Beziehung zum Bestand tritt.
Sequenz
Durch das vollständig mit Kupferbahnen verkleidete, nur durch Oberlichte erhellte Eingangsgebäude betreten die Besucher über das Zentrum und werden durch eine vertikale Zeitschleuse Stufe um Stufe tiefer in die Thematik eingeführt. Über das an die Zeitschleuse angrenzende Foyer mit Kasse und Empfang gelangen die Besucher in den halbgeschossig abgesenkten Ausstellungsbereich, der über das abgetreppte Forum angebunden ist. Dieses bildet Auftakt und Endpunkt des Geschichtsparcours. Der Ausstellungsbereich selbst ist ein reduzierter Raum, der lediglich von diffusem Licht des Filtermauerwerks der Südwand und dem Höhenspiel der Decke definiert ist. Damit bietet er prägnanten Raum für eine flexibel nutzbare Ausstellungsfläche. Einzelne Bezüge zur Gesamtanlage und zum Häftlingstrakt werden mittels Periskope, die in die Oberfläche des Plateaus integriert sind, in der unterirdischen Ausstellung präsent. Der Verfremdungseffekt durch die partielle Deckungsgleichheit der inneren und äußeren Welt wird durch dieses Seh-Prinzip entscheidend gesteigert.
Nutzungsverteilung
Der Verwaltungs- und Veranstaltungsbereich findet sich auf gleichem Niveau wie das Foyer wider. Die Büroräume reihen sich der Ausstellung abgewandt entlang der Stampfbetonwand und werden über ein langes, niedriges Bandfenster mit direktem Blick auf den Kraichbach belichtet und begünstigen so eine sitzende, konzentrierte Arbeit. Ein separater Zugang entlang der Südflanke des Gebäudes ermöglicht die getrennte Erschließung und Anlieferung des Multifunktionsraumes und dient gleichzeitig als Personaleingang. Da sich sowohl die Außenalagen, als auch das Gebäude auf der Fläche des Baufeldes konzentrieren, ist die Qualität der Außenanlagen auch bei einer etwaigen Realisierung der Kreisstraße gesichert.
Konstruktion und Materialität
Eine Sichtbeton-Tragstruktur bildet das Grundgerüst sowohl des Plateaus als auch des Eingangsgebäudes, wodurch sich im Inneren eine Durchgängigkeit ergibt, während sich nach Außen die beiden Elemente von einander absetzen. Das Plateau wird von einer Stampfbetonwand mit Kerndämmung bekleidet und unterstreicht so seinen schweren, lagernden und landschaftlichen Charakter. Das Eingangsgebäude wiederum zeigt sich als abstrakter Kubus, dessen Fassade aus hinterlüftetem Stehfalz-Kupferblech ohne erkennbaren Dachabschluss ausgebildet ist. Beide Elemente, das Plateu wie auch der Kubus erlauben und begünstigen durch ihre Materialität über die Standzeit des Gebäudes hinweg eine natürliche Verwitterung.
Energiekonzept
Der Neubau wird bei Bedarf über eine Fußbodenheizung erwärmt, über das vertikale Volumen des Turmes kann der Kamineffekt zur natürlichen Lüftung und Kühlung des Gebäudes herangezogen werden.
Auf der Mauer
In seinem sequenziellen Aufbau und seiner Zurückhaltung begreift sich der Neubau des Lernorts Kislau als Teil des Weges auf dem Geschichtsparcours. Die landschaftlichen wie baulichen Bezüge, die durch den Neubau hergestellt oder betont werden, wie auch seine Materialität betten ihn auf natürliche und selbstverständliche Weise in den Kontext aus Schloss-Ensemble und Landschaft ein - als wäre er schon immer da gewesen.